11.5.2011, Newsletter 18/2011 und Medienmitteilung
Die Landeselterninitiative für Bildung hat den Modellversuch "Fördern statt Sitzenbleiben" von Bildungsminister Kessler in den Klassenstufen 5 und 6 an elf Gymnasien ausdrücklich begrüßt. Wir freuen uns, dass Bewegung in diese weit verbreitete schulische Praxis des Versagens kommt und das pädagogisch fragwürdige sowie aufwändige Sitzenbleiben und das Auslesesystem an Gymnasien grundsätzlich angepackt werden. Dies macht Mut zu wünschen, dass der Minister den konzeptionellen Ansatz auch in die Mittelstufe weiterführt. Hier und da gibt es an Gymnasien schon Bemühungen. Der Minister zeigt aber mit seinem Projekt, dass "von oben" gewollt ist, Verantwortung für individuelle Förderung und Herausforderung zu übernehmen, anstatt diese abzuwälzen, indem man die Schüler los wird oder sitzenbleiben lässt. Mehrfach ist inzwischen wissenschaftlich belegt, dass das Wiederholen einer Klasse "nicht einmal einen individuellen Lernzuwachs in den Fächern bringt, die Grund der Nichtversetzung waren". In den meisten Fällen tritt ein Lern-Stillstand ein, weil auch in den übrigen Fächern lediglich Stoff wiederholt wird. Dies führt bei vielen Schülern zum "innerlichen Abschalten". Sitzenbleiben bringt also keine Verbesserung des individuellen Leistungsvermögens. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung von Anfang 2010 hat im Übrigen ergeben, dass saarländische Schüler am zweithäufigsten unter ihren Mitschülern in den Bundesländern Nachhilfe brauchen.
Wir setzen uns dafür ein, dass Konzepte für individuelle Förderung und Herausforderung den Schulen verbindlich vorgeschrieben werden, etwa im Schulordnungsgesetz oder einer Verordnung, einschließlich entsprechender Fortbildung und berufsbegleitender Unterstützung für Lehrer. Je nach Anteil der Schüler aus benachteiligenden Lebensumständen muss mehr Lehrerzeit zur Verfügung gestellt werden. Verbindlich müssen Sozialpädagogen mitwirken, als "Unterstützer des Lernens und der Schulentwicklung". Als Vorbild dient uns Hamburg. Dort wurde im September 2010 ins Schulgesetz geschrieben: § 3 (1): "Eine Lernkultur mit stärkerer und dokumentierter Individualisierung bestimmt das schulische Lernen." § 45 (4): "Die nähere Ausgestaltung der Versetzung, der Wiederholung, des Aufrückens, der individuellen Förderung sowie der Einstufung und der Umstufung erfolgt durch Rechtsverordnung."
Rechnet man die 4.600 Euro (Ausgaben je Schüler im Saarland nach Stat. Bundesamt 4/2011) hoch, die im Saarland jährlich für einen sitzenbleibenden Schüler aufgebracht werden, dann ergeben sich 13,3 Mio Euro bzw. rund 265 Lehrer (50.000 Euro Personalkosten pro Lehrer im Jahr), die man den Schulen für Anreiz- und Unterstützungssysteme zur Verfügung stellen könnte. Dies könnte zum Beispiel geschehen, indem man Schulen, die Schüler aus schwierigen sozialen Verhältnissen unterrichten, mehr Lehrer zur Verfügung stellt und indem Ressourcen für individuelle Unterstützung und Förderung aufgebaut werden.
Etwa 400 Schüler wiederholen im Saarland jährlich freiwillig ein Jahr, 2.900 an allen Schulen aber müssen sitzenbleiben. Hinzu kommen jährlich rund 1.000 Schüler, die das Gymnasium abbrechen.