Willkommen / Newsletter / Medienmitteilungen / Archiv
Newsletter / Medienmitteilungen / Archiv

Individuelles Lernen statt Sitzenbleiben an Grundschulen - Inhalt eines offenen Briefes an Bildungsminister Ulrich Commerçon

26. September 2012, Newsletter 14/2012

Sehr geehrter Herr Minister,

mit diesem offenen Brief wenden wir, die Landeselterninitiative für Bildung e.V., uns mit einem Anliegen an Sie in der Hoffnung, auf eine positive Resonanz zu stoßen.

Mit dem Modellversuch "Fördern statt Sitzenbleiben" an elf Gymnasien im Saarland für die Klassenstufen 5 und 6 hat Ihr Vorgänger einen "Einstieg in eine neue Lern- und Förderkultur zum Umgang mit Stärken und Schwächen von Schülerinnen und Schülern am Gymnasium" eingeleitet (Pressemitteilung vom 22.8.2011). Nun, mit der Einführung der Gemeinschaftsschule, wurde das Sitzenbleiben bis zur Klasse 8 in der zweiten Säule der weiterführenden Schulen prinzipiell abgeschafft. Nach § 15 der neuen "Verordnung – Schulordnung – über die Bildungsgänge und die Abschlüsse der Gemeinschaftsschule" steigt bis einschließlich in die Klassenstufe 8 jede Schülerin und jeder Schüler zu Beginn eines neuen Schuljahres in die nächsthöhere Klassenstufe auf; auf Antrag der Erziehungsberechtigten ist die Wiederholung einer der Klassenstufen 5 bis 8 auf freiwilliger Grundlage möglich. Vorrangiges Ziel der Gemeinschaftsschule ist "die individuelle Förderung jeder Schülerin und jedes Schülers. Die Schul- und Unterrichtsgestaltung orientiert sich an den Lernvoraussetzungen und Lernprozessen der Schülerinnen und Schüler und fördert diese in ihrer individuellen Entwicklung. Der Unterricht ist so zu gestalten, dass ihre Fähigkeiten, Begabungen und Interessen gestärkt und sie in ihrer Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft gefördert und gefordert werden" (§ 2 der neuen Verordnung).

Diese Entwicklung begrüßen wir ausdrücklich. Bitten aber gleichzeitig darum, zu prüfen, ob dieses Prinzip nicht in den Klassenstufen der Grundschule ebenfalls eingeführt werden kann. An Grundschulen rückt zwar ein Schüler grundsätzlich am Ende der Klassenstufe 1 in die Klassenstufe 2 auf und kann (nur) in Abstimmung mit den Erziehungsberechtigten die Klassenkonferenz ein Wiederholen beschließen, wenn schwerwiegende Leistungsrückstände vorliegen. Auch sieht die "Verordnung über die Grundschule der Zukunft" aus dem Jahr 2005 Förderunterricht vor. Doch bestimmen diese Regelungen nicht wie bei der Gemeinschaftsschule den Vorrang des Förderns und des individuellen Lernens.

Im Schuljahr 2011/2012 waren nach Angaben des Statistischen Amtes des Saarlandes an öffentlichen Grundschulen in den Klassenstufen 1 bis 4 insgesamt 352 Schülerinnen und Schüler Sitzengebliebene, davon - trotz der besonderen Regelung -  159 in Klassenstufe 1. Zusätzlich haben in den Klassenstufen zusammen 84 freiwillig wiederholt, 13 davon in Klassenstufe 1.

Rechnet man die 4 600 Euro hoch, die im Saarland jährlich für einen sitzenbleibenden Schüler aufgebracht werden (Ausgaben je Schüler im Saarland nach Stat. Bundesamt), dann ergeben sich bei insgesamt 436 Sitzenbleibern an Grundschulen im Schuljahr 2011/2012 rund 2 Mio Euro bzw. Zeit von rund 40 Lehrern (bei rund 50.000 Euro Personalkosten pro Lehrer im Jahr), die man den Schulen für individuelles Lernen zur Verfügung stellen könnte. 

Mehrfach ist inzwischen wissenschaftlich belegt, dass das Wiederholen einer Klasse "nicht einmal einen individuellen Lernzuwachs in den Fächern bringt, die Grund der Nichtversetzung waren". In den meisten Fällen tritt danach ein Lernstillstand ein, weil auch in den übrigen Fächern lediglich Stoff wiederholt werde. Dies führe bei vielen Schülern zum "innerlichen Abschalten". Sitzenbleiben bringe - so die Untersuchungen - also keine Verbesserung des individuellen Leistungsvermögens.