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Zur Problematik Respektlosigkeit und Gewalt an Schulen

Grundsätzliche Forderungen

Gewaltprävention im Kindes- und Jugendalter muss nach unserer Auffassung letztendlich auf das soziale Lernen von Kindern und Jugendlichen und den entsprechenden Kompetenzerwerb als dem wesentlichen Modus der Bewältigung und der frühzeitigen Vermeidung von Gewalt setzen. Der Erziehungsgedanke muss unseres Erachtens gleichwertig stehen neben den anderen Aufgaben wie z. B. der Wissensvermittlung in der Schule oder der Sicherung des Kindeswohls in der Kinder- und Jugendhilfe.

Uns Eltern ist klar, dass Aggressivität und Gewalt eine ganz bestimmte Variante der Folge von verunsicherten Beziehungen mit einem unausgewogenen Realisieren von Anerkennung, Anregung und Anleitung in der Erziehung sind. Andererseits sehen wir aber auch die sozialen und gesellschaftlichen Auslöser von Gewalt:

Armut, Verelendung, schlechte Wohnungsbedingungen

Es kommt bei jungen Menschen zu Demoralisierung und Desillusionierung ihrer Vorstellung für ein gutes Leben und oft zu dem Versuch, sich durch gewalttätiges Verhalten Entlastung und Ausgleich zu verschaffen.

Als ungerecht und aussichtslos empfundene Chancenstrukturen  Z. B. ist Arbeitslosigkeit einer der Hauptrisikofaktoren für Gewalt.

Mangelnde soziale Integration

Es sind sowohl bei den Deutschen wie bei den zugewanderten und ausländischen Jugendlichen die wirtschaftlich und bildungsmäßig benachteiligten Gruppen, die das höchste Ausmaß von Gewalt zeigen. Sie versuchen, Aufmerksamkeit und Anerkennung zu gewinnen oder ihrer Enttäuschung durch Wut Ausdruck zu verleihen.

Mangelnde Übereinstimmung in Grundwerten

Es sind die besonders labilen und leicht enttäuschbaren Kinder und Jugendlichen, meist auch mit einer geringen Selbstkontrolle und einem geringen Selbstbewusstsein ausgestattet, die unter den aggressiven überwiegen.

Nach Untersuchungen von Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Sozial- und Gesundheitswissenschaftler an der Universität Bielefeld, ist aggressives oder delinquentes Verhalten in der Schule zwar vielfach der Endpunkt einer langen Kette von Belastungen, verdeutlichen aber Untersuchungsergebnisse, dass Leistungsversagen, schlechter schulischer Leistungsstand, häufige Versetzungsgefährdungen, Klassenwiederholungen und ein Zurückbleiben hinter den eigenen und/oder elterlichen Erwartungen Begleiterscheinungen für aggressives Verhalten sind.

Wir meinen, im Saarland muss durch eine andere Schulpolitik mehr für soziale Gerechtigkeit gesorgt werden. Das Saarland ist das Bundesland mit einer überdurchschnittlichen Zahl an Schulabgängern ohne Bildungsabschluss und an wiederholenden Schülern, es liegt auf den hinteren Plätzen bei den mittleren und höheren Bildungsabschlüssen und Kinder in schwierigen Lebensverhältnissen haben im Vergleich zu anderen Ländern überdurchschnittlich viel schlechtere Chancen. Mit der Anzahl der Schüler pro Lehrer und bei der Investitionsquote für Bildung befinden wir uns in der Abstiegszone. Dort müssen wir endlich heraus, und zwar nach oben.

Drei wesentliche Forderungen unsererseits an die Bildungspolitik:

1.
Wir müssen weg von einem Bildungssystem, das zu stark darauf ausgerichtet ist, überdurchschnittliche Schüler von unterdurchschnittlichen zu trennen. Hin zu einem System, das individuelle Schwächen ausgleicht und Talente fördert. In den Schulen müssen die Rahmenbedingungen für den Umgang mit heterogenen Lerngruppen und die Individualisierung des Unterrichtes so geschaffen werden, dass eine Pädagogik des Förderns an die Stelle einer Pädagogik der Auslese tritt. Lehrerinnen und Lehrer brauchen eine entsprechende Fortbildung und endlich mehr Zeit, sich um die individuelle Förderung der Kinder kümmern zu können.

2.
Wir brauchen ein flächendeckendes Angebot an echten Ganztagsschulen. Die PISA-Untersuchungen haben klare Anhaltspunkte erbracht, dass ein flächendeckendes Angebot an echten Ganztagsschulen, das im Übrigen die meisten Länder in der EU und der OECD besitzen, zu höherem Leistungsniveau führt und eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass Kinder individuelle Leistungsunterschiede ausgleichen sowie ein schlechtes außerschulisches Lernumfeld überwinden können. An solchen Schulen ist die gemeinsame Lernzeit höher und das Lernen besser rhythmisiert. Echte Ganztagsschulen - nur vier Grundschulen und eine Gesamtschule sind im Saarland solche! - sind deshalb auch ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit. 

3.
Im Saarland sollten wir die zurückgehenden Schülerzahlen dazu nutzen, sowohl an den Grundschulen als auch an den weiterführenden Schulen  ein besseres Sozial-, Arbeits- und Lernklima, mehr Raum für persönliche Entfaltung und persönliches Engagement zu entwickeln. In kleineren Klassen werden Lerndefizite und individuelle Probleme von Schülern rascher und klarer erkannt, sie können umfassender und gründlicher aufgearbeitet werden.


Einzelne Maßnahmen im schulischen Umfeld zur Gewaltprävention

Schulische Lösungsansätze können immer nur einen Teil der Entstehungsbedingungen für Gewalt in der Schule berühren, dennoch wollen wir auf Empfehlungen von Prof. Hurrelmann, Universität Bielefeld, hinweisen und das Schulsystem bitten, sie ernst zu nehmen:

1. Förderung der Leistung

Der Zusammenhang von Schulversagen und Gewaltbereitschaft ist unübersehbar. Zwar ist die Schule in der Regel gezwungen, ein einheitliches Bewertungssystem anzuwenden, d. h. die Leistung eines einzelnen Schülers im Vergleich zu anderen zu bewerten. Ein Ausweg aus diesem Dilemma könnte sein, neben die Note eine individuelle Bewertung zu schreiben, die die Leistungsfortschritte des Kindes lobend hervorhebt und damit sein Selbstwertgefühl steigert.

2. Transparente und gerechte Chancenstruktur

Hier geht es um den Aufbau und die ständige Präzisierung und Weiterentwicklung von Regeln. Entscheidend sind objektiv faire und berechenbare Umgangsformen im fachlichen Leistungs- und im sozialen Beziehungsbereich, die jedem Schüler die Chance bieten, anerkannt und akzeptiert zu werden.

3. Strukturierung und Rhythmisierung des Unterrichts

Leistungsschwierigkeiten können nicht allein durch verstärktes Einzeltraining, sondern auch durch verbesserte Strukturierung von Unterrichtsabläufen, klare Gestaltung und zeitliche Rhythmisierung der Arbeitszeiten und Differenzierung von Leistungsanforderungen angegangen werden. Die Schule sollte alles tun, um von den Schülern als eine gerechte Gemeinschaft empfunden zu werden.

4. Vorbildwirkung von Lehrern und Lehrerinnen

Lehrer stellen in vieler Hinsicht in ihrem Verhalten ein Modell für die Schüler dar. Es ist wichtig, dass sie sich korrekt und vorbildlich verhalten. Dazu gehört z. B., sich zu bemühen, sich zu engagieren und Fehler, wenn sie gemacht wurden, einzugestehen. Oder aber, dass Lehrer Konflikte in ihren eigenen Reihen lösen, dass sie sich nicht ständig eifersüchtig an einer imaginären Beliebtheitsskala orientieren.

5. Gestaltung der sozialen Beziehungen

Lehrer müssen in den Kontakten mit ihren Schülern deutlich machen, dass sie an ihnen interessiert sind, an ihrer Entwicklung, an ihrem Fortkommen, auch Ansprechpartner in persönlichen Fragen sein.
Lehrer brauchen auch Fortbildungsangebote, damit sie ihre Wahrnehmungsfähigkeit für anbahnende Konflikte stärken können und Konfliktlösungskompetenz entwickeln können.

6. Beteiligung der Schülerinnen und Schüler am Schulleben

Diskussionen über Normen und Werte und darüber, warum Regeln für alle gelten, gehören in den Unterricht. Sie sind für den Tagesablauf und für die Verständigung in der Schule von großer Bedeutung. Es gilt, in Kooperation mit allen an der Schule Beteiligten über alternative Formen der Konfliktlösung nachzudenken. Denn auf Gewalt folgende Ordnungs- und Strafmaßnahmen, die gesteigert werden, wenn das Ausmaß an Gewalttätigkeiten zunimmt, bewirken oftmals eine Eskalation oder eine Stabilisierung der Gewalt.

7. Stärkung von Kooperationsstrukturen

Wichtig ist, dass eine Schule immer sofort und unmittelbar auf gewalttätige Konflikte in ihren Mauern reagiert. Nichts ist schlimmer als ein Verdrängen dessen, was doch alle gesehen und miterlebt haben. Ziehen sich z. B. Lehrer zurück und scheuen aus welchen Gründen auch immer das Gespräch mit den Schülern, ermöglichen sie damit den aggressiven Schülern eine Vergrößerung ihres Freiraumes und ermutigen sie so, ihre aggressiven Aktivitäten fortzusetzen. Eine gute Schule setzt auf die Zusammenarbeit zwischen Eltern, Schülern und Lehrern mit dem Ziel, Aggressionen in der Schule einzudämmen, eine Eskalation der Gewalt frühzeitig zu unterbinden, Ordnungsmaßnahmen und Regelbefolgung durchzusetzen, die Opfer zu schützen und den Tätern wirksam entgegen zu treten.

8. Soziales Kompetenztraining für Schülerinnen und Schüler

Mit sozialer Desorganisation schwindet die Fähigkeit zur friedlichen Konfliktregelung. Daher ist das soziale Kompetenztraining besonders wichtig. Es zielt vor allem darauf, die Fähigkeit und die Bereitschaft zu Auseinandersetzungen mit Problemen und schulischen sozialen Anforderungen zu stärken.

9. Streitschlichterprogramme

Streitschlichterprogramme bieten eine konkrete Hilfe bei Konflikten unter Schülern aus eigener Kraft für eine Klärung, einen Täter-Opfer-Ausgleich und eine Sanktionierung zu sorgen.

10. Beratung in der Schule, Schulsozialarbeit

Für Schulen muss allgemein ein effizientes psychologisches Beratungsangebot verfügbar sein, nicht nur für Probleme etwa mit Respektlosigkeit und Gewalt. Darüber hinaus muss die Möglichkeit bestehen, aggressive und gewalttätige Schüler sozialpädagogisch zu betreuen. Desolat erscheint uns das schulpsychologische Stützsystem dagegen im Saarland. Während zum Beispiel in Finnland und Dänemark ein Psychologe bis zu 800 Schüler betreut und in den USA die Relation noch bei 1:1.000 liegt, müssen wir wegen eines Verhältnisses von bis zu 1:18.000 (!) monatelange Wartezeiten hinnehmen.